Wie sich die Kommunikationsbranche verändert: Ein Gespräch über Organisationsstrukturen in PR-Agenturen

30. Januar 2019 Annett Bergk
Jelena Mirkovic (l.) und Alexandra Groß (r.) stellen sich den Fragen des “PR-Journals”

Agile Märkte bedingen agiles Handeln bedingt agile Kommunikation bedingt agile Agenturen. Doch was in der Branche so wortreich debattiert und propagiert wird, bedarf in der Praxis mehr als nur Kicker-Tische, Obstkörbe und Homeoffice-Szenarien. Wie Agenturen den Wandel konkret schaffen können, darüber haben “PR-Journal” Chefredakteur Thomas Dillmann und Redakteurin Annett Bergk gemeinsam mit Alexandra Groß, Vorstandsvorsitzende der Fink & Fuchs AG, und Jelena Mirkovic, geschäftsführende Gesellschafterin der komm.passion GmbH, gesprochen.

Der erste Schritt ist die Erkenntnis

Die Kombination aus der Digitalisierung des Marktes und damit einhergehender Prozessänderungen, stärker individuell zu bearbeitender Kundenwünsche aufgrund des zunehmenden Projektgeschäftes und nicht zuletzt auch die Einsicht, Mitarbeiter als wesentliches Agenturkapital entwickeln zu müssen, führt zu einer Erkenntnis: Isolierte Units an unterschiedlichen Standorten, die mehr neben- als miteinander agieren, werden bald nicht mehr funktionieren.

„2014 war für uns das Jahr der Entscheidung“, erinnert sich Groß. „Corporate Communications wurden immer mehr zur integrierten Kommunikation, Retainer- zum Projektgeschäft. Die Grenzen zwischen Marketing, PR und Online verschwammen immer mehr und angesichts der neuen Anforderungen an unsere Mitarbeiter fehlte der systematische Austausch untereinander.“ Mirkovic stimmt zu: „Die Organisationsstrukturen mussten komplett umgeworfen werden. Wir wollten den ‚Energieverlust‘ durch Hierarchien und auch nur kleinste Barrieren wie Treppenstufen auf ein Minimum senken.“

Spezialwissen wird vielerorts heute noch in einzelnen Silos gehortet. Da gibt es Grafik-Abteilungen, IT-Abteilungen, Video-Abteilungen, Social Media Abteilungen … Berater verkaufen aus Unwissenheit teilweise völlig utopische Dinge.

Wie also vorgehen?

komm.passion: Das zentrale PO-System

„Agil. Dieser Begriff war uns zu wenig“, sagt Mirkovic. „Wir wollten nicht nur unsere Prozesse an der Digitalisierung ausrichten, sondern vor allem an unserer Problemlösungsfähigkeit arbeiten. So legen wir uns heute wie eine amorphe Masse um das Problem des Kunden.“ Sie spricht von dem eingeführten Prozessorchestrierungssystem, das ganz ähnlich wie beim Franchise lediglich HR, IT und Finanzen übergeordnet verwaltet, sich jedoch je nach Auftragslage als eine Art Netz ständig verändert. Die kleinste Projekteinheit bei der „Problemlösung“ ist der Project Owner (kurz: PO), dem als Sparring eine Supervision zugeteilt wird. Gegebenenfalls kommen Mitarbeiter hinzu oder gar Sub-POs mit abgegrenzten Themenbereichen.

Dillmann möchte natürlich wissen, wie das ganz praktisch von statten geht: „Wie sieht die Kapazitätsplanung bei komm.passion aus?“, fragt er kritisch. „Wir arbeiten von zentraler Stelle mit einem haptischen Plan, der sich einer Anzahl von Plättchen je Mitarbeiter bedient“, erklärt Mirkovic. Jedes einzelne Plättchen stehe für einen halben Tag Arbeitszeit. So werde auf einen Blick sichtbar, welche Mitarbeiter freie Kapazitäten haben und an welcher Stelle zu viel Arbeitsaufkommen zu verzeichnen ist.

„Es gibt also keine Teamleiterebene mehr?“, fragt Bergk. „Nein“, sagt Mirkovic. „Jeder Mitarbeiter kann projektbezogen zur inhaltlichen und/oder organisatorischen Führungskraft werden. Das fördert auch die persönliche Weiterentwicklung innerhalb der Agentur.“ Dass es dennoch hierarchische Titel und verschiedene Positionen gibt, erklärt die Geschäftsführerin mit dem notwendigen Marktvergleich. Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise ausscheide, bedürfe er einer Positionierung. Die Argumente für eine Gehaltserhöhung hingegen haben sich verändert.

Fink & Fuchs: Change-Prozess mit Verlusten

Fink & Fuchs holte sich im Gegensatz zu komm.passion externe Unterstützung: Gemeinsam mit einem Coach für Change-Prozesse und einen Coach für Organisationsentwicklung als Sparringspartner begann man langsam, die einzelnen Units aufzulösen und beispielsweise neue Vergütungsprozesse zu etablieren. „Die Personalentwicklung und -entscheidung hängt nun direkt in der HR-Abteilung“, sagt Groß. „Die fachliche und disziplinarische Führung wurde also auch den Teams entzogen und aufgewertet.“ Die Weiterentwicklung einzelner Kunden ist nunmehr Aufgabe des Director-Boards.

„Wie viele Mitarbeiter sind diesen Schritt nicht mitgegangen“, will Dillmann wissen. „Zirka zwanzig Prozent“, räumt Groß ein und meint damit die Mitarbeiter, die in den zwei Jahren des Umgestaltungsprozesses die Agentur verließen. Doch sie sieht es nicht nur negativ: „Diese zwanzig Prozent haben uns mehr Luft verschafft. Luft für den Einkauf anderer Disziplinen und neuer Kompetenzen.“

„Und wie wird entschieden, wer auf welchem Kunden arbeitet?“, fragt Bergk. „Unsere offenen Organisationsstrukturen bedingen, dass die Menschen (wieder) miteinander reden“, erklärt Groß. „Und die Account Teams lassen sich je nach Kundenbedarf schneller auf- und umbauen.“ Es herrsche eine Atmosphäre ständigen Verhandelns, welche nicht zuletzt die sozialen Kompetenzen der Agentur gestärkt habe. „Inwiefern hat das die Qualität der Kundenarbeit verändert?“, hakt Bergk nach. „Das gemeinsame Verständnis von Prozessen sorgt auch für einen gemeinsamen und vor allem höheren Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit. Wir haben in den interdisziplinären Teams gelernt, dass es wichtig ist, von Beginn an andere Fragen zu stellen. So sind unsere Briefings und Re-Briefings besser geworden und der Output entspricht mehr noch dem, was der Kunde sich vorgestellt hat. So gesehen: Eine Qualitätssteigerung.“

Eine ganze Branche im Wandel

Agiles Arbeiten. Zweifelsohne ein Thema, das die Branche beschäftigt. Kunden- und Mitarbeiteranforderungen haben sich geändert. Flexible Teamstrukturen und technologiegestützte Zusammenarbeit werden gefordert. Darauf müssen Agenturen reagieren. Und eben nicht nur mit Kicker-Tischen, Obstkörben und Homeoffice-Szenarien. Neue Strukturen müssen her.

komm.passion und Fink & Fuchs sind zwei Agenturen, die zeigen, wie es funktionieren kann. Ablesbar ist das übrigens auch am leidigen Thema Überstunden, denn die sind laut Aussage der beiden Agenturvertreterinnen auf einen historischen Tiefstand gesunken. Ihre Erfahrungen bringen sie nicht zuletzt in die GPRA-Arbeitskreise ein und stehen den Verbandskollegen Frage und Antwort. Dass man extern offen über interne Strukturen spricht, hat es früher nicht gegeben. Man sollte meinen, die Branche beginne endlich mit der Kommunikation.

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